Schreckliches Ende eines Ausfluges zum Burkhardtsdorfer Jahrmarkt

Es war einmal im Frühling des Jahres 1913... So könnte diese Geschichte beginnen, aber leider hat sich dieses Ereignis wirklich so abgespielt und ist kein Märchen. 

In Burkhardtsdorf gab es eine lange Tradition die den Ort im Zwönitztal weit und breit bekannt gemacht hat, der Burkhardtsdorfer Jahrmarkt. Schon 1673 hatte das Dorf das Recht im Frühjahr und im Herbst einen Jahrmarkt abzuhalten. Anfangs begann dieser Markt am Montag 8 Uhr und endet am Dienstag der nächsten Woche um 21 Uhr. Die zahlreichen Besucher kamen zu Fuß aus allen Ortschaften der Umgebung. Als dann 1875 die Eisenbahn von Chemnitz nach Aue in Betrieb ging, bekam auch der Jahrmarkt einen neuen Besucheransturm. Im Jahre 1913, in dem diese Geschichte spielt, fand der Jahrmarkt allerdings nur noch an drei Tagen, einem Sonntag, Montag und Dienstag statt.

Von einer alten Ansichtskarte vom Burkhardtsdorfer Jahrmarkt um 1900
Von einer alten Ansichtskarte vom Burkhardtsdorfer Jahrmarkt um 1900

Am Sonntag, den 27. April 1913 erscheinen auch viele neue Besucher aus Ehrenfriedersdorf, Geyer und Annaberg, denn in diesem Jahr konnte man zum ersten Mal mit dem Omnibus der Linie Chemnitz-Annaberg nach Burkhardtsdorf fahren. Dazu kam ein geradezu sommerliches Wetter mit strahlendem Sonnenschein. Im gesamten Ortszentrum boten Händler ihre Waren an und die Schausteller hatte Belustigungen für Alt und Jung. Auf der Abbildung rechts ist die Hauptstraße vor dem Gasthof zur Sonne mit den dicht gedrängten Schaubuden zu sehen. Links sieht man den Platz vor dem damaligen Elektrizitätswerk der zu einem "Reitschulplatz" umfunktioniert wurde. Hier standen also die Karussells, die früher Reitschule genannt wurden. Dazu kamen zwei Schaukeln, eine Schießbude und ein Fliegerkarussel. Auch der Schillerplatz, die Adorfer Straße und die Schulstraße gehörten zum Marktreiben, genau wie der Topfmarkt, der seinen Namen von den Töpfern hatte, die am Ufer der Zwönitz ihre Waren anboten. Dazu gab es in diesem Jahr eine Neuerung: die Buden konnten zum ersten Mal elektrisch beleuchtet werden.

So war der Verkehr am ersten Jahrmarkttag stark und das Gedränge groß. Es wurde auch Wissenswertes, in Form einer Ausstellung zu neuesten Ereignissen zum Zeit- und Weltgeschehen, geboten. Der Bericht zum Eisenbahnunglück in Gaschwitz bei Leipzig sollte zum bösen Ohmen für die folgende Nacht werden. Dazu gleich mehr.

Man konnte sich hier in Burkhardtsdorf also einen ganzen Tag lang aufhalten und am Sonntag blieben die letzten Besucher bis nach Mitternacht, denn die örtlichen Restaurants und Gaststätten boten ein umfangreiches Abendprogramm. Der letzte Bus in Richtung Annaberg für genau um 1 Uhr Nachts am Gasthof Auenberg ab. Hier gab es zuvor eine öffentliche Ballmusik und in der Gaststube spielte "Welckers Variete- und Possen-Ensemble" mit erstklassigen Damen- und Herrenpersonal auf. So war wohl der letzte Bus bis zum letzten Platz besetzt und vermutlich musste sich der eine oder andere Fahrgast mit einem Stehplatz begnügen. Das war nicht weiter schlimm, denn in Gelenau würden die ersten Fahrgäste aussteigen und Platz schaffen. Aber dazu sollte es nicht kommen. Der Bus hatte irgendwo zwischen dem Ortsausgang und der Besenschänke einen Motorschaden. Was danach geschah, konnte man später in der Burkhardtsdorfer Zeitung nachlesen:

 

In der Nacht vom Sonntag zum Montag ereignete sich auf der Annaberger Straße zwischen dem Gasthof Auenberg und der Besenschänke ein schrecklicher Unglücksfall. Der Autoomnibus, der zwischen Annaberg und Chemnitz verkehrt und hier nachts 1 Uhr ankommt, fuhr aus noch unaufgeklärte Weise rückwärts in den 2 - 3 Meter tiefer liegenden Straßengraben. Das Auto, das von 27 Personen besetzt war, überschlug sich 2 mal. Das Dach wurde vollständig abgehoben. Alle Insassen wurden teils schwer, teils leicht verletzt. Vier der Schwerverletzten wurden ins Krankenhaus nach Chemnitz gebracht, während die leicht Verletzten in Burkhardtsdorf Hilfe fanden. - Das Unglück verursachte in den frühen Morgenstunden des Montag einen großen Menschenauflauf. Alles eilte nach der Unglücksstätte. Das Auto stand mit zertrümmerten Dach, die Tür abgerissen, von Fenstern selbstverständlich keine Spur mehr, auf einem Feldgrundstücke des Gutsbesitzers Herrn Friedrich Nietzold, wohin der Omnibus von der Straße aus gestürzt war. Schirme, Stöcke, Handtaschen usw. lagen in wildem Durcheinander. Im Laufe des ganzen Tages kamen zahlreiche Fremde, auch solche in Autos, um den Unglücksort zu besichtigen. Gegen Mittag war der Ort beräumt und es wurde sich an das Heraufschaffen des Autos, das mittelst Flaschenzuges erfolgte, gemacht. Erst im Laufe des Dienstag konnte es auf die Straße gebracht werden.

Bei diesem Unglücksfall hat sich unsere Sanitätskolonne, wie das schon oft, wenn auch bei bedeutend leichteren Ereignissen der Fall war, in sehr anerkennenswerter Weise betätigt und so durch möglichst rasche und sachgemäße Hilfe in den Dienst der Nächstenliebe gestellt. Allen den hilfsbereiten Sanitätern, wie auch den Nichtmitgliedern der Kolonne, die helfend eingegriffen haben, sei an dieser Stelle aufrichtiger Dank ausgesprochen.

Über die Schwerverletzten kann noch Folgendes mitgeteilt werden: Im Befinden der drei im Krankenhaus zu Chemnitz befindlichen Schwerverletzten, des 40 Jahre alten Chauffeurs Kreußig aus Geyer i. Erzgeb., der einen komplizierten Schädelbruch erlitt, des 42 Jahre alten Ziegeleimeisters Hermann Schmidtjohannes aus Ehrenfriedersdorf, der einen Oberkieferbruch davontrug, und des 53 Jahre alten Ziegeleiarbeiters Friedrich Schoch aus Geyer i. Erzgeb., bei dem ein Bruch des Beckens und Oberarmes festgestellt wurde, ist noch keine merkliche Besserung eingetreten; insbesondere ist der am schwersten verletzte Chauffeur noch nicht vernehmungsfähig. Außer diesen drei Schwerverletzten ist noch ein Mädchen aus Gelenau schwerverletzt, welches eine schwere Gehirnerschütterung erlitt. Die übrigen Verletzten, die aus den Orten Geyer, Schlettau, Dermold, Gelenau und Ehrenfriedersdorf stammen, sind sämtlich mit verhältnismäßig leichten Verletzungen davongekommen.

Aus der "Burkhardtsdorfer Zeitung" vom 30. April 1913

Der Unglücksbus auf dem Feld von Friedrich H. Nietzold Quelle: Archiv der Gemeinde Burkhardtsdorf
Der Unglücksbus auf dem Feld von Friedrich H. Nietzold Quelle: Archiv der Gemeinde Burkhardtsdorf

Was sich genau am Unfallort ereignete konnte man später in zahlreichen in- und ausländischen Zeitungen lesen. Das Unglück weckte ein großes Interesse, denn Buslinien entstanden damals auch an vielen anderen Orten. Auch die "Chemnitzer Neuesten Nachrichten" waren mit einem Reporter vor Ort und berichteten noch am Montag. Dank der Telegrafentechnik gelangte noch am selben Tag die Nachricht vom Busunfall in Sachsen bis nach Österreich ins "Wiener Tageblatt". Einen Tag darauf folgten weitere Zeitungen mit ihrem Bericht. Stellvertretend soll hier das Linzer Volksblatt zitiert werden:

Schwerer Automobilunfall

Chemnitz, 28. April. Ein Autoomnibus der Automobil-Omnibuslinie Chemnitz-Annaberg ist in der Nähe von Burkhardtsdorf verunglückt. Von den 27 Insassen wurden 25 verletzt, darunter mehrere schwer. Der Unfall ereignete sich, wie die "Chemnitzer Neuesten Nachrichten" melden, dadurch, daß der Chauffeur, der infolge Versagend des Motors abgestiegen war, wahrscheinlich vergessen hatte, die Bremse anzuziehen, so daß der schwere Wagen den abschüssigen Berg zurück rollte und umstürzte. Der Wagen wurde vollständig zertrümmert.


Warum der Chauffeur, obwohl er ausgestiegen war, schwer verletzt wurde, lässt sich nur dadurch erklären, dass er wieder aufgesprungen war, um doch noch zu bremsen. Das war ihm offenbar nicht mehr gelungen.

Drei Wochen nach dem Unglück beauftragt der Burkhardtsdorfer Gemeinderat den Oberschutzmann Hermann Buchheim mit der regelmäßige Kontrolle der Wagenführer des Omnibus-Verkehrs.