Wielands Reise nach Amerika Teil 1

Von Kemtau nach Bremerhaven

Es war im Juli 1848 als der ehemalige Kemtauer Lehnrichter und aktueller Gemeinderatsvorsitzende Adolph Ferdinand Wieland seinen lange gehegten Plan, seine Heimat zu verlassen und nach Amerika auszuwandern, in die Tat umsetzte. Den letzten Anstoß dazu gab die vom Einsiedel'schen Gericht zu Weißbach angekündigte Zwangsversteigerung seines Besitzes an mehreren Bauerngütern in Kemtau, die auf den 27. September 1848 um 12 Uhr Mittags datiert war. Wie es dazu kam, kann im Beitrag Kemtau's letzter Lehnrichter nachgelesen werden.

An dieser Stelle soll darüber berichtet werden, wie seine lange Reise ablief und was Ferdinand dabei alles gesehen hat. Da er Frau und Sohn zurückließ, ist anzunehmen, dass er still und heimlich zu Fuß aus Kemtau verschwand. Sein erster Anlaufpunkt war ein Gasthof an der Poststraße in Gelenau. Vorher hatte er noch einmal die Gelegenheit über seine Äcker und Wiesen zu gehen, die durch seine Spekulationsgeschäfte für immer verloren waren. Als er auf dem Weg nach Gelenau kurz vor dem Kemtauer Felsen in den Wald kam, hatte er sich zweifellos noch einmal umgewandt um Abschied zu nehmen...

Blick aus dem Wald auf das Kemtauer Lehngut
Blick aus dem Wald auf das Kemtauer Lehngut

Die erste Etappe führt mit der Postkutsche nach Leipzig

Das Ziel seiner Auswanderung hatte er nicht zufällig ausgewählt, denn zur damaligen Zeit lief im Erzgebirge eine große Werbekampagne der Schwarzenberger Pastors Friedrich Hermann Behr, der verarmten Erzgebirgern eine neue Perspektive in Amerika bieten wollte. So unterstützte er die Ost-Tennessee-Colonisations-Gesellschaft mit Sitz in Leipzig und warb Siedler für den neu gegründeten Ort Wartburg an.

Gelenau Postkutschen Station Gasthof Ober-Gelenau
Gelenau Postkutschen Station Gasthof Ober-Gelenau

Einer davon war auch Herr Wieland aus Kemtau, der sich um den 7. August 1848 auf den Weg nach Leipzig machte. Damals gab es zwar schon die ersten Eisenbahnverbindungen, aber Chemnitz hatte noch keine Linie nach Leipzig. So musste Auswanderer Wieland mit der Postkutsche vorlieb nehmen. Er begab sich auf dem Eisenweg nach Gelenau zum Gasthof Ober-Gelenau an der alten Poststraße Annaberg-Chemnitz-Leipzig. Die Personenpost fuhr einmal täglich diese Strecke und hielt planmäßig Nachmittag 17.35 Uhr am Gelenauer Gasthof (kleines Bild unten in der Mitte). Ferdinand zahlte seine Gebühr von 2 Talern und 19 Neugroschen für die Strecke von gut 13 Meilen (98 km). Wie auf der nebenstehenden Ansichtskarte zu sehen, konnte er durch das Fenster der Kutsche noch einen letzten Blick auf das Erzgebirge mit der Augustusburg und dem Fichtelberg werfen. Dann ging die Fahrt los. Noch einmal durch Burkhardtsdorf, vorbei an der Klaffenbacher Bergschenke hinunter nach Chemnitz und weiter bis Leipzig. Diese Strecke wurde schon im Beitrag Postkutschfahrt 1850 in umgekehrter Richtung detailliert erzählt und kann dort nachgelesen werden.

Das "Neue Postgebäude" am Augustusplatz in Leipzig Quelle. Wikipedia
Das "Neue Postgebäude" am Augustusplatz in Leipzig Quelle. Wikipedia

Nach insgesamt 11 Stunden und 30 Minuten kam Adolph Friedrich Wieland am folgenden Morgen um 5 Uhr und 5 Minuten in Leipzig auf dem Posthof der Leipziger Hauptpost an. Direkt gegenüber, auf der anderen Seite des Augstusplatzes mündete die kurze Grimmaische Straße von Markt kommend. 

 

Leipziger Karte von 1848 mit Dresdner Eisenbahn
Leipziger Karte von 1848 mit Dresdner Eisenbahn

Die Stadt Leipzig machte damals einen riesigen Wandel durch. Nach dem die mittelalterlichen Stadtmauern verschwunden waren, hatte man Platz für die Esplanade mir viel Grün und neuen Plätzen, wie den Augustusplatz mit der neuen Post. Ganz aktuell zeigten sich jedoch die Folgen der industriellen Revolution mit der Entstehung von neuen Eisenbahnverbindungen und den dazu benötigten Bahnanlagen. Die Kartographen kamen offenbar gar nicht mehr nach aktuelle Stadtpläne zu liefern. So ist auf der Karte von 1848 nur die erste Leipziger Bahnlinie nach Dresden von 1839 eingezeichnet, obwohl auch die Bahnlinie nach Magdeburg schon 1840 den Betrieb aufgenommen hatte. Erst die Karte von 1850 zeigt den Magdeburger und Dresdner Bahnhof. Den heutigen Hauptbahnhof gab es noch nicht und für jede neue Verbindung wurde ein eigener Bahnhof gebaut. Der Thüringer Bahnhof eröffnete 1856 gleich neben dem Magdeburger und den Bayerische Bahnhof gab es schon seit 1842 im Süden von Leipzig. 

Unter der Hausnummer 33 in der Grimmaischen Straße residierte Johann Ernst Weigel, der alleinige Bevollmächtigte der Ost-Tennessee-Colonialisations-Gesellschaft für Deutschland. Dort musste er hin, denn diese Institution wie darauf hin, dass "wir es für unsere Pflicht halten, einem Jeden, der zur Überfahrt entschlossen ist, anzuraten, sich rechtzeitig eine Passage zu sichern, und warnen einen Jeden, aufs Geradewohl nach den Hafenplätzen zu gehen, weil er riskiert, nicht allein einen höheren Preis zahlen, sondern auch Wochen lang auf Einschiffung warten zu müssen, indem man für solche, ohne festen Accord eintreffende, Passagiere keine Plätze in guten Schiffen frei hält." Und weiter ließ Herr Weigel verlauten: "Die Listen der in jedem Monat mehrmals abgehenden Schiffe sind bei mir einzusehen. Passagebillets werden stets bis 8 Tage vor Abgang ausgefertigt und die Voraussendung der Effekten pünktlich besorgt."

Sicher wusste Herr Wieland, dass die Schiffe zur Auswanderung nach Wartburg in Tennessee immer am 1. und 15. des Monats in Bremerhaven abgingen. Fest steht lt. Auswandererdatenbank, dass Adolph Ferdinand Wieland am 30. September 1848 in New York ankam. Da die Passage des Atlantik damals 45 Tage dauerte, ist er also am 15. August in Deutschland abgefahren. Wenn er sich in etwa an die geforderten 8 Tage Frist vor der Abfahrt zum Kauf eines Billets gehalten hat, könnte er am 7. August in Kemtau seine Reise begonnen haben und nun am Tag darauf in Leipzig ins Zentral-Büro der Auswanderungsgesellschaft gegangen sein. Natürlich nicht gleich nach seinem Eintreffen morgens um 5 Uhr, sondern zur normalen Büroöffnungszeit. Zu diesem zeitlichen Ablauf passt auch die folgende Anzeige in der Leipziger Zeitung vom 11. August 1848: 

Der Auswanderer Wieland wusste also, dass er sich in New York entscheiden kann eine langwierige und unbequeme Reise auf den Landweg über 1200 km selbst zu organisieren oder auf das nächste Schiff zu warten und in einer Reisegruppe zunächst per Schiff nach Charleston und weiter mit der Eisenbahn nach Wartburg zu reisen. Das Ganze schneller, billiger und sicherer und würde zusammen mit der Schiffspassage inclusive Verpflegung und sonstigen Gebühren 57 Thaler kosten. Das klingt fast schon wie eine heutige Pauschalreise. 

Nun war noch die Anzahlung für sein Ackerland in der Siedlung Wartburg zu zahlen. 1 Acre besten Landes kostete 2 Dollar und für ihn als Einzelperson, standen 100 Acre zur Verfügung. Bei 1 1/2 Thaler für einen Dollar betrug der Gesamtpreis 300 Thaler und die Anzahlung somit 100 Thaler. 

Zum Abschluss erhielt Wieland noch ein Information zu seiner nächsten Reisetappe, "die von Leipzig über Magdeburg und Hannover nach Bremen mit verschiedenen Eisenbahnen eine sehr billige Reisegelegenheit war, einen Tag dauerte und sie kostet III. Klasse unter 5 Thaler." Die Abfahrt erfolgt vom Magdeburger Bahnhof in Leipzig. Adolph Ferdinand Wieland musste zweifellos in Leipzig übernachten, was nach der letzten Nacht in der Postkutsche sicher angebracht war.

Die zweite Etappe führt nach Magdeburg mit dem Zug

Thüringer, Magdeburger und Dresdner Bahnhof in Leipzig 1862
Thüringer, Magdeburger und Dresdner Bahnhof in Leipzig 1862

Am nächsten Morgen, dem 9. August musste Ferdinand früh aufstehen um seinen Zug nach Magdeburg zu erreichen. Es fuhren 3 Züge pro Tag ab: 6.00, 11.30 und 16.30 Uhr (3). Wenn man an einem Tag bis nach Bremen wollte, musste man mit dem ersten Zug starten. Die Fahrt ging über 15 3/4 Meilen (118 km) und dauerte planmäßig 3 1/2 bis 4 Stunden. Der Preis für ein Ticket der 3. Klasse betrug 40 Neugroschen, also ein Thaler und 10 Groschen. Die erste Klasse kostete 3 Thaler (1). Mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 31 km/h war die Eisenbahn mehr als 3 mal so schnell wie die Postkutsche.

Erste Probefahrt mit der Dresdner Eisenbahn
Erste Probefahrt mit der Dresdner Eisenbahn

Wie sahen die Züge damals aus? Leider sind Abbildungen aus der Anfangszeit der Eisenbahnen selten. Von der Strecke Leipzig Magdeburg gibt es keine. Da die Dresdner Strecke erst ein Jahr zuvor komplett fertiggestellt war, kann man annehmen, dass die Personenzüge ähnlich aussahen. Typisch waren die überdachten Wagen mit halbrunden Fenstern an der Unterseite. Das sollte wohl an die Postkutschen erinnern. Die abgebildete Lokomotive war die "Comet", welche aus England importiert wurde. Dann folgt der Tender mit der Kohle. Aus Sicherheitsgründen fuhren Soldaten im nächsten Wagen mit. Sie saßen im Freien auf einem Güterwagen mit Holzbänken. Die drei folgenden Personenwagen der 2. und 3. Klasse wurden schon in Sachsen gebaut, die zwei letzten Wagen der 1. Klasse kamen ebenfalls aus England. Über den Fahrkomfort des neuen Verkehrsmittels berichtete eine regionale Zeitung "Der Zug fährt nicht sehr schnell, zumindest scheint er es nicht zu tun, er rattert weniger als der Zug Nürnberg - Fürth. Seine Räder machen kaum Geräusche, der ganze Lärm kommt vom Dampf ."

Auf der Strecke Leipzig Magdeburg dürften die Bedingungen ähnlich gewesen sein.

Der Elbbahnhof vor dem Dom in Magdeburg um 1900
Der Elbbahnhof vor dem Dom in Magdeburg um 1900

Als der Personenzug aus Leipzig gegen 9.15 Uhr am Elbbahnhof in Magdeburg ankam, zeigte sich der Vorteil der dezentralen Bahnhöfe, die es auch im Magdeburg gab. Bei der geringen Zahl der ankommenden Personenzüge, konnte man die Anschlusszüge ganz konkret einplanen. Üblicherweise wurden 20 Minuten  zwischen Ankunft und Weiterreise geplant, wobei immer umgestiegen werden musste, denn durchgehende Fernzüge gab es noch nicht. 

Weiter über Oschersleben nach Braunschweig und Hannover

Sommerfahrplan der Magdeburg-Halberstädter Eisenbahn 1848 Quelle (3)
Sommerfahrplan der Magdeburg-Halberstädter Eisenbahn 1848 Quelle (3)

Sein nächstes Ziel war Hannover, aber im Kursbuch von 1848 (1) gab es keinen direkten Eisenbahn Anschlusszug, da nur die Verbindung Braunschweig-Hannover fertiggestellt war. Wie es für unseren Kemtauer Auswanderer in Magdeburg weiterging war deshalb etwas verworren. Er musste zwei vorhandene Verbindungen anderer Bahnbetreiber nutzen um nach Braunschweig zu kommen. 

  • Zunächst ging es mit dem Halberstädter Dampfwagen der Magdeburg-Halberstädter Eisenbahngesellschaft um 10.00 Uhr nach Oschersleben. Die Fahrzeiten diese Zuges im abgebildeten Sommerfahrplan stimmen nicht ganz, was die Ankunft in Oschersleben angeht.
  • Eindeutig ist, dass es von dort um 11.45 mit der Herzoglich Braunschweigische Staatseisenbahn weiter nach Braunschweig ging. Die Strecke war 70 km lang und die Fahrt dauerte ca. 20 Stunden. Es musste also zwischen 13.45 Uhr und 14.15 Uhr wieder umgestiegen werden.
  • Von dort weiter mit dem Nachmittagszug nach Hannover. Diese Strecke war 61 km lang und Wieland kam nach einer Stunde und 45 Minuten gegen 16 Uhr in Hannover an.

Zwischenstopp in Hannover

Zentralstation Hannover 1850 Quelle: Wikipedia
Zentralstation Hannover 1850 Quelle: Wikipedia

Im Raum Hannover waren damals die "Königlich Hannöversche Staatseisenbahnen" für den Bau der Eisenbahnen zuständig. Hannover wurde von Anfang an als Hauptknoten, neben Lehrte, ausgebaut. Hier gab es also nur einen zentralen Hauptbahnhof, der 1847 fertiggestellt wurde. Das umfangreich Ensemble war symmetrisch ausgerichtet mit mit einem zentralen Empfangsgebäude und zwei Zeitenflügeln, die die Bahnsteige und Gepäckausgabe, sowie ein Damenzimmer und den Fahrkartenverkauf enthielten. Ein Postgebäude und ein Wagenschuppen schlossen sich an. Zu den Architekten gehörte auch Ferdinand Schwarz, der schon an der Eisenbahn Leipzig-Magdeburg gearbeitet hatte. Im Hauptbahnhof gab es getrennte Warteräume für die 1. bis 4. Klasse. Dazu ein Fürstenzimmer und ein Restaurant in repräsentativen Haupthaus.

Lageplan vom Bahnhof Hannover 1848 Quelle (4)
Lageplan vom Bahnhof Hannover 1848 Quelle (4)

Letzte Eisenbahnetappe nach Bremen

Auf der erst im Dezember 1847 fertiggestellten Strecke Hannover-Bremen fuhren täglich drei Züge in beiden Richtungen. Der letzte Personenzug verließ Hannover um 17.20 Uhr. Über diese neue Strecke und die damit verbundenen Bahnhöfe berichtete die "Illustrirte Zeitung" (4) Anfang 1848 sehr ausführlich. Dabei wurde ausdrücklich betont, dass man Dank dieses Bahnabschnittes die Stecke Leipzig-Bremen an einem Tag zurücklegen kann.

Aufenthalt in Bremen

Bremen 1848 Quelle (4)
Bremen 1848 Quelle (4)

Die Bahnfahrt dauerte 3 1/2 Stunden und unserer Auswanderer kam kurz vor um 9 Uhr abends in der Hansestadt Bremen an. Damit endete nach 15 Stunden diese anstrengende Tagestour. 

Nun brauchte Adolph Ferdinand dringend eine preiswerte Übernachtungsmöglichkeit. Die gab es in Bremen, kamen doch täglich Auswanderungswillige an. 

Da war zunächst ein sehr kleines Gasthaus auf dem Neumarkt "Zur Stadt Wilster" des Herrn Wessels. Für nur 17 Neugroschen gab es hier Logis, Frühstück, Mittag- und Abendessen pro Tag. Früh stand ein Kaffee und Weißbrot auf dem Tisch; Mittags eine Vorsuppe, zweierlei Fleisch, Gemüse und Kompott; Abends Suppe, Beefsteak oder Bratwurst, Kompott, Kartoffeln, Butter und Käse. Die Bedienung war sehr freundlich und die Wirtsleuten konnten jede Auskunft erteilen. Allerdings kamen hier nur 10 Personen unter.

Ganz nah am Bahnhof gab es noch den "Bayrischen Hof", wo die Nacht nur 15 Ngr. kostete.

Zum selben Preis konnte man auch im "Stadt Baltimore" übernachten. Allerdings drängen sich die Auswanderer in so großen Massen, dass der Aufenthalt für einen an Ordnung und Reinlichkeit gewohnten Mann sehr beschwerlich wird. (7)

Es war Donnerstag, der 10. August als Adolph Ferdinand Wieland in Bremen die letzte Etappe seiner Reise bis Bremerhaven plante. Am 15. des Monats ging sein Schiff ab und laut den Instruktionen seiner Auswanderungsgesellschaft, musste er 48 Stunden vor Abfahrt da sein. Er hatte also noch ein paar Tage um die letzten 60 km bis Bremerhaven zurückzulegen. 

Hafen Bremen Schachte 1862 Quelle: Wikipedia
Hafen Bremen Schachte 1862 Quelle: Wikipedia

Sicher war ihm zu Ohren gekommen, dass in Bremerhaven tausende Auswanderungswillige ausharrten bis ihr Schiff abfuhr. Da wäre es erstrebenswert, so lange als möglich in der reichen Hafenstadt Bremen zu bleiben. Hier könnte er noch Gasthäuser besuchen und die verbleibenden drei Tage genießen. Ein Besuch im Hafen an der Weser verschaffte ihm einen Eindruck vom Leben auf einem Segelschiff und er konnte sich gedanklich auf die bevorstehende Schiffspassage nach New York einstimmen. Allerdings erfuhr er hier auch, dass die Weiterfahrt nach Bremerhaven per Schiff die Weser hinauf erfolgte und mehrere Tage dauerte. Bei den Massen Auswanderer wäre eine Fahrt mit einer Postkutsche nicht möglich gewesen. Also buchte er wohl schon für den nächsten Tag die Überfahrt.

Schoner in der damaligen Zeit
Schoner in der damaligen Zeit

Wie es dabei zuging berichtete genau zwei Jahre zuvor ein Familienvater und Auswanderer wie Wieland: "In Bremen wurden wir 90 Köpfe stark auf einen kleinen Schoner gepackt, auf welchem wir weder stehen, sitzen noch liegen konnten, und mit welchem wir erst den dritten Tag Bremerhaven erreichten. Unbekannt mit der Fahrt hatten wir uns daher nur auf eine kurze Fahrt verproviantiert und mussten in der Tat hier schon Hunger und Not leiden, weil der hartherzige, rohe Kahnschiffer, trotz unseres Begehrens, nirgends anlegte, indem er vorgab, er dürfe das nicht. Auf dieser Fahrt wurde mein Töchterchen Minna, ein und ein halbes Jahr alt, in der Folge der harten Entbehrungen krank und genaß nicht mehr".(5)

Bremerhaven

"Der Name dieses Ortes ist auch den Bewohnern des Binnenlandes bekannt und geläufig. Hamburg und Bremen, Cuxhaven und Bremerhaven sind Namen, die Jeder, auch der Ungebildete, in stiller Gebirgseinsamkeit Lebende hört oder sieht. Nach einem dieser Orte bricht ja der Unzufriedene, gelockt von dem blendenden Schimmer der fernen Goldländer oder gerufen von vorangegangenen Freunden, die ein seltener Glücksstern leitete, auf, um sich nach den Gestaden der neuen Welt einzuschiffen. Jener Exodus von Hunderttausenden, der sich nach den beiden Handelsemporien an der Elbe und Weser ergießt, macht die Hafenorte beider Seestädte so bekannt im Inneren Deutschlands. Hier erblicken alljährlich Tausende zum ersten Mal ein Seeschiff, hier ruht das erstaunte Auge befangen voll banger Ahnungen auf dem schäumenden Strome, der seine grauen Wogen brandend gegen das Ufer rollt. Der Atem des Meeres weht sie hier an, und so weit beim Anblick der unübersehbaren Wassermasse das Herz Vieler werden mag, Manchem dürfte es auch vor Bangigkeit stärker schlagen, als zuvor." (6)

Karte von Bremerhaven 1849 Quelle Wikipedia
Karte von Bremerhaven 1849 Quelle Wikipedia

Am 13. August 1848 traf Wieland in Bremerhaven ein, einer neuen Stadt, die erst vor 21 Jahren gegründet wurde. Sie sollte Bremen entlasten und die stetig wachsende Zahl an Auswanderern aufnehmen. In Bremerhaven entstand von 1847 bis 1852 der Neue Hafen, die Stadt stieg bis 1854 zum größten Auswandererhafen Europas auf. Wieland traf also in bewegten Zeiten ein. Die Zustände waren katastrophal. In einem Prüfungsbericht von 1847 ist von einer "Schweinewirtschaft" die Rede. Gemeint war die Unterbringung der Auswanderer, die auf ihre Abfahrt warteten. Bremerhaven war überfüllt übernachtet wurde in Scheunen und Dachböden. Die Versorgung mit Nahrungsmittel tat ein Übriges. Diese Zustände wurden selten angesprochen oder beschrieben, wie die Lobeshymne in der "Gartenlaube" zeigt. 

Wieland hatte noch den 14. August um sich mit dem Nötigen für die Überfahrt zu versorgen. Dazu gehörten Betten oder Strohsäcke, Decken sowie Eß- und Trinkgeschirr von Blech, Löffel, Messer und Gabel, dies alles sollte sehr billig und passend in den Hafenorten zu erkaufen sein. Die Verpflegung war im Preis inbegriffen, Tabak war an Bord verboten. In der letzten Nacht vor seiner Einschiffung wird auch er mit gemischten Gefühlen an den den nächsten Tag gedacht haben, an dem das größte Abenteuer seines Lebens beginnen würde. Vielleicht schaute er noch einmal auf den Leuchtturm am Eingang zum Meer.

Leuchtturm an der Wesermündung Quelle (6)
Leuchtturm an der Wesermündung Quelle (6)

Hiermit endet der 1. Teil der Amerikareise des letzten Lehnrichters von Kemtau. Im 2. Teil wird die Überfahrt nach New York beschrieben, ein 3. Teil (folgt bald) umfasst die Weiterreise nach Tennessee.

Quellen

(1) M. R. Voigtländer's Post-Coursbuch für das Königreich Sachsen und das Herzogthum Sachsen-Altenburg, 1848

(2) Post-Coursbuch für den Königlich Sächsischen Postbezirk, 1852

(3) Magdeburger Zeitung, 14. April 1848

(4) Illustrirte Zeitung, Leipzig, 29. Januar 1848, S. 71 Die Eisenbahn von Hannover nach Bremen

(5) Meine Auswanderung nach Texas - Ein Warnungsbeispiel für Auswanderungslustige, Jakob Thran, 1848

(6) Die Gartenlaube, Illustrirtes Familienblatt Nr. 16, 1858 S. 228 Besuch in Bremerhaven und in der Wesermündung

(7) Bericht aus und über Amerika gegeben nach eigener Anschauung in den Jahren 1848 und 1849, J. G. Häcker Chemnitz, 1849